Die Kolumne #69 (Juli 2006)

Die Kolumne #69 (Juli 2006)

Und hier noch die bisher unterschlagene Nummer 69 – die erste in einer langen, langen Reihe von Reprints… n’joy!

Das Kolumne.
Kanäle übersprechen, Tiere erfluten sich, ein Radio entblödet

Wie verboten kann es sein, beim Autofahren so zu tun, als ob man telefoniert? Die perfekte Simulation sei nicht mehr als solcher erkennbar, schrieb Baudrillard. Und dies, noch bevor entsprechende Gesetze in Österreich Un/Schul/ds/Kinder vor potentiell freihändig lenkenden Mercedes-Gefühl-Fahrern (in der linken Hand das Handy, mit der rechten das Navigationssystem bedienend) mustergültig schützten.

Tante Brigitte mochte sich meiner Argumentation gar nicht anschließen. „Du wirst alt, mein Lieber. Mentale Durchlässigkeiten den Thesen Jeans gegenüber ist nicht unbedingt das erste, aber eines der letzten Zeichen der Hautalterung. Legst du nun deine jugendliche Revolutzerehre ab wie eine Mantel, der dich nicht mehr wärmt?“
„Ih wo,“ replizierte ich, „warum sollte ich mir selbst die popkulturelle Existenzgrundlage entziehen? Einige der Thesen Baudrillards zumindest ernst zu nehmen, halte ich für ausgesprochen schick – solltest du mal versuchen, das schärft das Profil zur Ablehnung des Rests ungemein.“
„Pass nur auf, welche Malmots du wählst. Ist ja nicht so, dass wir hier in Österreich im Zeitalter der postmodernen Beliebigkeit leben – was unterschiede denn noch das simulierte Telefonieren vom herzhaften Abbeißen von der heißen Wurst bei 130 auf der Westautobahn?“
Ein wunder Punkt, und wenn ich hier so rüde unsere von mir quasi buchstabengetreu widergegebenen Unterhaltung unterbrechen darf: muss man beim Autofahren eigentlich beide Hände frei haben? Die Vernunft gebietet unisono im Chor mit Überlebenswillen und Nächstenliebe: ja, man sollte! Ich bezweifle allerdings das Mitsingen des Gesetzes, wozu wäre sonst eine dediziert-dezidierte Telefonieregelung notwändig geworden? Freilich kamen mir diese teuflischen Gedanken erst später, und so antwortete ich:
„Akustische Fernpräsenz verträgt sich nun mal nicht übermäßig gut mit Geschwindigkeit nahe der des Lichts. Paul Virilio hat doch eindringlich bewiesen oder zumindest be-argumentiert, dass der Klingler an der Haustür eigentlich zuerst im sechsten Stock vor der Wohnungstür steht und dann unten läutet.“
Brigitte seufzte tief auf, wie immer, wenn sie meinen Tour de Forces durch die Synapsen nicht folgen konnte. Ich seufzte lauter und länger.
„Du denkst, ich könnte dir nicht folgen? Dabei verwechselst du bloß schon wieder Ursache mit Wirkung oder Lacan mit Virilio.“
Auf diesem Minenfeld habe ich als nicht überzeugter Froidianer nun wahrlich nichts verloren und beschloss daher, mich elegant zurück zu ziehen.
„Was ich über die Psychologie weiß, hat mir der bunte Sonntagsteil der Kronenzeitung beigebracht. Und da stand nichts über Lacan.“
In der Tat hege ich weniger stille als vielmehr große Bewunderung für die Verfasser dieser Tests. So viele Skyllen und Charibdäen* gilt es zu meistern: soll doch keinesfalls ein unerwünschtes Testergebnis im völlig erschütterten Probanden Depressionen oder schlimmeres wecken! Eine Gratwanderung der gefährlichsten Sorte also, diese Fragen. Schon die Fragestellung versucht stets, möglichst untendenzöis zu sein. („Bin ich ein neidhafter Gierschlund übelster Sorte?“) Die zugehörigen Fragen dürfen einerseits nicht zu durchschaubar(„Fressen Sie bei Buffets immer möglichst schnell, damit den anderen weniger übrig bleibt?“), müssen andererseits allerdings durchschaubar genug sein („Mögen Sie Winterreifen?“). Der Proband muss also einen Zusammenhang vermuten können zur Fragestellung, der darf aber weder zu direkt noch zu abstrus sein. Nur dann wird er den Testparcours mit der befriedigenden Überzeugung verlassen, etwas Altbekanntes über sich selbst gelernt zu haben, das er vorher noch nicht wusste.

DANKSAGUNG

Ich danke der Wirtschaftskammer Wien für die Inspiration zu dieser Kolumne. Ich habe wirklich sehr lachen müssen, als ich im online Fragebogen angab, dass „mein Unternehmen recht zufriedenstellend laufe“, „ich gerne mehr Freizeit hätte“ etc.etc. und schließlich in der „Auswertung“ so Überraschendes erfuhren durfte wie „Gratulation, ihr Untenehmen läuft recht zufriedenstellend. Doch sie hätten gern mehr Freizeit. etc.etc.“ Der erste ehrliche Psychotest der Welt, Gratulation.

*) Ich glaube, ich bin der erste, der diese Eigennamen in einem professionellen Durckerzeugnis im Plural verwendet hat. Jeder hat halt mal das Bedürfnis, was zu schreiben, was noch keiner vor ihm geschrieben hat. Okay, ab jetzt folgen keine bösen Überraschungen mehr.

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