Wahltotal.at: Direktdemokratie auch nach dem Urnengang

Wahltotal.at: Direktdemokratie auch nach dem Urnengang

wahltotal.atFrustriert sind viele, die Strategien des Umgangs mit der Angefressenheit auf „die da oben“ unterscheiden sich indes gravierend: der eine wählt gar nicht, der zweite rechts und der dritte gründet eine Online-Videoplattform, auf der Wähler Videofragen an einzelne Parteien und/oder Kandidaten richten können. Der Launch der Plattform in der heißen Wahlschlachtkampf-Zeit half natürlich immens, Politiker zu Antworten zu animieren, wie die beachtlich vielen Clips auf Wahltotal.at zeigen. Nach dem Urnengang soll nicht Schluss sein mit dieser Form der direkten Demokratie – die Betreiber wollen die Seite weiter ausbauen und verschiedene Politiker und Vertreter aus den Bereichen Gesellschaft, Kunst und Kultur zu regelmäßigen Video-Kolumnisten machen.

Auch ich habe als fallweise über politischen Themen reflektierender Blogger die Ehre und das Vergnügen, neben so schillernden Figuren wie Alf Poier und Thomas Schäfer-Elmayer eine unregelmäßige Video-Kolumne auf Wahltotal zu bespielen.

Mit Markus Kienast, einem der Konzeptionisten und Betreiber von Wahltotal.at, habe ich ein Interview über die bisherige Story hinter der Seite und weitere Zukunftspläne geführt – es handelt sich quasi um die Fortsetzung meiner Serie über Wahlkampf abseits des ORF, die mit einem Interview mit Alexandra Damms (ATV) begann.

Interview: „Neue Politik braucht neue Kommunikationsformen“

datenschmutz: Wie ist die Idee zu Wahltotal.at entstanden und was sind die Intentionen hinter der Seite?

Wahltotal.at: Direktdemokratie auch nach dem Urnengang
Markus Kienast

Markus Kienast: Die Politik scheint seit geraumer Zeit festgefahren zu sein. Nichts bewegt sich mehr. Schwarz-Blau kann als Versuch gewertet werden, aus diesem „Dead-Lock“ auszubrechen. Die Strukturen aufgebrochen hat das aber nur insofern, als SPÖ und ÖVP seitdem auch zu den Kleinparteien zählen.
Dass also unabhängig von der Besetzung einer Regierung doch alles beim Alten bleibt, hat wohl eine systemische Ursache. Neue Politik braucht neue Kommunikationsformen. Das Fernsehen hat eben keinen Rückkanal. Laut der Wissenschaft von der Funktion komplexer Systeme, der Kybernetik, ist die ständige Rückkopplung, ein Feedback-Loop, aber für ein überlebensfähiges System unerlässlich.
Eine Wahl alle 5 Jahre als Feedback-Loop ist aber einfach zu wenig. Die Politik kann so vom Volk nicht ausreichend gesteuert werden und fährt gegen die Wand, auch wenn alle diese kommen sehen. Mich erinnert das ein wenig an die berühmten 5-Jahres-Pläne der UdSSR.
Aus der Grundmotivation heraus, den Bürgern eine Möglichkeit zu geben, die Politik auch nach der Wahl noch beeinflussen zu können, ist www.wahltotal.at entstanden. Unsere Plattform darf gerne als Reaktion auf den Stillstand in der Politik gewertet werden.

?: War es schwierig, Politiker zum Antworten zu motivieren, oder hat sich nach den ersten Antworten eine gewisse „Eigendynamik“ entwickelt?

!: Die ersten Antworten zu bekommen war eigentlich verblüffend einfach. Die SPÖ ist da vorgeprescht.
Die Grünen und verblüffenderweise die ÖVP haben dann aber schnell die SPÖ überholt und nutzen derzeit unsere Plattform am effektivsten. Die haben schnell kapiert, dass ihre Videos bei uns öfter gesehen werden als auf Youtube. Für Interessierte in dieser Sparte sind wir einfach die Anlaufstelle Nummer eins. Wir haben gerade erst angefangen und das praktisch mitten in der Wahl und ohne große Werbung. Trotzdem konnten wir bei weitem mehr face-to-face Sendeminuten ausliefern als die Youtube-Aktivitäten aller Parteien zusammen.

?: Wie schätzen Sie persönlich den Einfluss der Plattform auf die Meinungsbildung der Wähler ein?

!: Wir bekommen von unseren Nutzern immer wieder kommuniziert, dass unser Angebot großen Einfluss auf ihre Wahlentscheidung hat. Das liegt ihren Aussagen zu Folge vor allem am persönlichen Kontakt zu den Kandidaten. Wer sich die Zeit nimmt, auf eine Frage wirklich einzugehen und seinen Standpunkt nachvollziehbar darzulegen, dessen Meinung schenkt man leichter sein Vertrauen.
Die Qualität dieses Kontakts ist gleichzustellen mit einem persönlichen Gespräch nach einem Wahlkampfauftritt, nur dass dieser Dialog auf wahltotal.at außerdem noch von einer Vielzahl anderer
nachvollziehbar ist, was einen nicht unerheblichen Seiteneffekt mit sich bringt.
Durch die Menge an Fragen zu verschiedensten Themen auf wahltotal.at können sich die Wähler auch dann noch ein recht genaues Bild von den Persönlichkeiten machen, denen sie da ihre Stimme zu geben
gedenken, wenn sie persönlich gar keine Frage hochladen.
Wenn Sie mich also fragen, was mehr Wähler beeinflusst, ein Gespräch auf einer Wahlkampfveranstaltung oder auf wahltotal.at, dann ist die Zeit ganz klar besser auf wahltotal.at investiert.

?: Wie sind Sie mit der bisherigen Entwicklung der Plattform zufrieden?

Wahltotal Poster!: Im Vergleich zu den Initiativen von ATV und puls4 stehen wir ausgesprochen gut da. Bei uns haben mehr User ihre Clips hochgeladen und es wurden auch um ein Vielfaches mehr Fragen beantwortet. Bedenkt man, welche Mittel uns im Vergleich zu ATV und puls4 zur Verfügung standen, kann man wohl nur von einem vollen Erfolg sprechen.
Aber ich möchte unsere Initiative nicht zu sehr mit ATV und puls4 vergleichen, weil deren Format eigentlich ein ganz anderes ist. Während deren Aktivitäten in einem Konvergenz-Event im Fernsehen endeten, ist unsere Plattform auf stetigen Dialog ausgerichtet. Es wurden bei uns laufend Fragen beantwortet und das wird sich auch jetzt nach der Wahl nicht ändern.
Wir sind sehr stolz darauf, was wir erreicht haben, ganz besonders auch deshalb, weil wir von der Idee bis zum Launch nur drei Wochen gebraucht haben.
Die Resonanz unserer Politiker ist auch sehr zufriedenstellend. Es wird uns auch von ihrer Seite immer wieder die Frage gestellt, ob es eh nach der Wahl noch weiter geht.

?: Wie beurteilen Sie die Wahlberichterstattung von puls4 und ATV im Vergleich zum ORF? Beide Privatsender bieten ja ebenfalls über das Internet die Möglichkeit an, direkt Fragen zu stellen.

!: Ich finde es gut, wenn sich unsere Spitzenpolitiker nun auch auf puls4 und ATV streiten. Die Formate divergieren glücklicherweise ein wenig, sonst wär’s dann doch etwas langweilig. User-Fragen in eine solche Runde einfließen zu lassen ist löblich, aber leider auch nur eine halbe Sache, für puls4 und ATV mehr ein Marketing-Gag.

?: Wie geht es mit der Plattform nun nach der Wahl weiter? Eigentlich wäre eine solche Form des dokumentierten, direkten Austausches ja auch in Nicht-Wahl-Zeiten äußerst interessant.

!: Natürlich wird wahltotal.at nach der Wahl weiter bestehen. Mehr noch, es wird wachsen, sich verbreitern und in die Tiefe gehen. Wir arbeiten gerade mit Hochdruck an den neuen Features für den Permanent-Modus, der in Zukunft vielleicht unter einem anderen Namen firmieren wird. Es wird verbesserte Interaktionsmöglichkeiten und Community-Features geben. Aber auch was den Content anbelangt, werden wir das Angebot verbreitern.

Auf wahltotal.at werden dann weiter die jeweils aktuellen Wahlen behandelt und das Feedback der Bürger nach der Wahl eingesammelt. Die nächsten Wahlen, die wir im Auge haben, sind die anstehenden
Landtagswahlen 2009 in Kärnten und Salzburg, sowie die Europawahlen.
Grundzüge unseres neuen „Programms“ für den Permanent-Modus sind jetzt schon auf wahltotal.at zu sehen. Das wären Stimmen von Künstlern und der Prominenz und Stimmen aus der Blogger-Szene zur politischen Lage der Nation. Der erste Beitrag aus der Blogger-Szene stammt ja von Ihnen, Herr Pettauer, was uns sehr freut.
Außerdem werden Politiker in Zukunft vermehrt über ihre aktuellen Initiativen berichten und zum Diskurs über ihre Ideen und Vorhaben aufrufen.
Die ersten Politiker nutzen diese Möglichkeit bereits. Von der Prominenz konnten wir als erste Herrn Thomas Schäfer-Elmayer und Herrn Alf Poier für einen Kommentar gewinnen. Weitere Kabarettisten haben
bereits Interesse bekundet.
Wie eingangs schon erwähnt, unsere Plattform ist konzipiert für den permanenten Austausch zwischen Bürgern und Politik. Um die anstehenden Probleme zu bewältigen, muss die Politik beginnen, die Intelligenz der Masse anzuzapfen, sonst werden wir kläglich untergehen.
Die Lösungsansätze aus der Politik selbst kommen einfach zu spät und passen dann gar nicht mehr zu den Problemen. Damit „Echtzeit“ in der Politik möglich wird, braucht es fortwährende und vor allem auch verzögerungsfreie Rückkanäle wie wahltotal.at.
Wir wollen Bürgern und Politik helfen sich kurzzuschließen, Ideen auszutauschen und zu bewerten. Es ist unser ureigenes Interesse, zu helfen, den politischen Prozess so effektiv wie möglich zu gestalten. Wer auch immer das Feedback und die Ideen auf unserer Plattform ernst nimmt, wird die nächste Wahl gewinnen.
Es wird also auf alle Fälle spannend bleiben auf www.wahltotal.at.


Fotocredits:
Foto: Weihbold, OÖ. Nachrichten

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